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Eine meiner Kurzgeschichten, "Schneelandschaft"

Regungslos, wie ein Storch im Wasser, stehe ich auf einem Bein vor dem Spiegel und betrachte mein weiss geschminktes Gesicht. Tief dringt mein Blick in die leblos gläsernen Pupillen, die lautlos auseinander brechen und das Tor in eine wunderschöne weite Bergwelt öffnen, wo sich das lieb lächelnde Abbild meiner verstorbenen Melanie eingebettet in einer einsamen Schneelandschaft offenbart. Mein Atem wird schwerer und die Gesichtszüge meiner Geliebten verschwimmen in den Wogen eines tiefblauen Sees, von dem stille Tränen über meine Wangen kullern. Mein Herz schmerzt, die Sehnsucht ihr zu folgen ist grösser denn je.

Leise öffnet sich die Garderobentür und gellende Schreie zerreissen den Schleier der Stille. Schallwellen applaudierender Zuschauer schwappen gegen meine Ohren und bedeuten mir zugleich, dass die Clownnummer zu Ende ist. „Bald bin ich bei dir“, flüstere ich und verbeuge mich in japanischer Manier vor mir selbst. „Yuki, was machst du denn da?“ höre ich die Jongleurin fragen. „Ich verabschiede mich“, antworte ich, gehe auf sie zu und gebe ihr einen Kuss auf die Stirn. Ehrfürchtig wie ein kleines Schulmädchen schaut sie mich an und fragt mit leiser Stimme „Was meinst du denn mit ‚ich verabschiede mich?“
„Leb wohl“, antworte ich und schreite entschlossen in das prall gefüllte Zirkuszelt. Ein letztes Mal, wie in Trance, lasse ich mich vom lauten Beifall in die Mitte des Zirkusrings führen. Gänsehaut überzieht meinen ganzen Körper, ich reisse beide Arme in die Höhe und spüre die Kraft und Entschlossenheit meine letzte Reise anzutreten. Nach einer kurzen Verneigung gehe ich zur Leiter und steige schnell nach oben, schnaufend auf dem letzten Tritt angekommen, hoch über den Köpfen der Zuschauer höre ich die Ansage des Zirkusdirektors. „Meine Damen und Herren, nun stehen wir vor dem Höhepunkt vom heutigen Abend, Yuki der Seiltänzer wird uns auf diesem Seil, ungesichert und ohne Netz, einen Rückwärtssalto vorführen. Eine Sensation, welche bis heute noch niemand gezeigt hat! "Applaus für unseren Yuki!“

Noch während des Beifalls gehen alle Lichter aus, nur ein einziges zum Seil gerichtetes Scheinwerferlicht brennt noch. Nach einem kurzen Trommelwirbel herrscht Totenstille im vollbesetzten Zelt. Ich blicke kurz auf meine Füsse, wische mir den Schweiss von der Stirn und setze langsam einen Fuss vor den anderen. In der Mitte angelangt mache ich halt und bewege meinen Körper rhythmisch auf und ab, mit den immer stärker werdenden Trommelwirbeln springe ich nach dem sechsten Mal rückwärts drehend in die Höhe und falle ruhig, wie eine Schneeflocke in die Tiefe.

Erschrocken fahre ich hoch und stosse versehentlich meine Bento-Box vom Tisch. „Ich bin wohl eingeschlafen“, erkläre ich mir selbst. Schweissgebadet, mit zitternden Händen, wische ich die zerstreuten Reiskörner in den Abfalleimer und hebe die Schachtel mit den restlichen Essensresten auf. Erschöpft setze ich mich auf einen Stuhl am Sitzungstisch und betrachte meine bleichen Hände, die pulsierenden Adern wirken im grellen Neonlicht wie blaue Kabelstränge, die von meinen Fingern in die Arme durch den ganzen Körper bis ins Hirn gezogen wurden. Durch diesen Anblick beginnt der Ausdruck Neural Impulse in meinem Kopf zu drehen. Mir wird schwindlig, kalter Schweiss drückt aus allen Poren und immer stärker werdende Bauchschmerzen zwingen mich in eine aufrechte Position.

„Verdammt, ich bin doch kein Roboter?“ schreie ich aufgebracht durch den menschenleeren Büroraum und schleppe mich zwei Tische weiter an meinen Arbeitsplatz. Entkräftet lasse ich mich auf den Stuhl fallen und blicke in den Bildschirm, von wo stille Schneelandschaften in wiederkehrender Reihenfolge auf mich einwirken. Ohne meinen Blick vom Monitor abzuwenden, öffne ich mit der rechten Hand die Pultschublade und greife nach der Dose mit den Schmerztabletten, schnell schraube ich den Deckel auf, ziehe den Wattebausch aus dem Glas und stecke mir gleich zwei Pillen in den Mund, die ich mit einem Schluck Grüntee in mein Inneres spüle. Bereits nach ein paar Minuten lässt der Schmerz nach, entspannt schliesse ich die Augen und bilde mir ein, inmitten einer verschneiten Berglandschaft zu liegen. Aus dem sanften Wehen des Windes höre ich eine leise Frauenstimme, „Herr Tanaka, es ist schon spät,“ erschrocken öffne ich die Augen und erkenne das Gesicht der Putzfrau. „Ach, ich muss wohl eingenickt sein!“ stottere ich vor mich hin. Hastig verstaue ich die Lunch-Box in meiner Tasche, ziehe die Jacke über und verlasse das Gebäude in Richtung Tokyo Station.

Mit dem letzten Zug fahre ich nach Hause durch das leuchtend kalte Betonmeer und träume sehnsüchtig von meiner letzten Reise in eine schöne weisse Welt, wo Melanie auf mich wartet. (Thomas Köhler)

 

Meine Sprüche-meine Gedanken

Eine Auswahl von Sprüchen, die ich während «zu Fuss durch Japan» geschrieben habe.

01. Ein fernes Ziel lehrt mich die Geduld. (Thomas Köhler)

02. Solange ich gehe, bleibe ich nicht stehen. (Thomas Köhler)

03. Heute würde ich mich beneiden, wenn ich nicht mich selbst wäre. (Thomas Köhler)

04. Mein Blick zum Meer, mit jeder Welle geht die Zeit, es gibt kein Stillstand. (Thomas Köhler)

05. Ist man sich nicht immer der Wichtigste, so kann man andere Menschen oft besser verstehen. (Thomas Köhler)

06. Auch mit viel Geld in der Tasche schmeckt der Fisch nicht besser. (Thomas Köhler)

07. Hinter einem grossen Berg steht oft ein Zweiter. (Thomas Köhler)

08. Wenn ich nach Gold suche, verschwende ich meine schöne Zeit und wenn ich es dann sogar noch finde, meine schönen Träume! (Thomas Köhler)

09. Gehe ich eine Treppe hoch, so muss ich sie auch wieder runter gehen. (Thomas Köhler)

10. Nach einem Fehltritt kann man oft unbeschwerter gehen. (Thomas Köhler)

11. Unter dem Rost liegt der Glanz verborgen. (Thomas Köhler)

12. Wolken kommen und gehen, doch die Sonne bleibt! (Thomas Köhler)

13. Veränderungen machen das Leben süss, Gewohnheiten bitter. (Thomas Köhler)

14. Mein Kapital sind die schönen Erinnerungen. (Thomas Köhler)

15. Ein Mensch ist man schon, ein guter Mensch muss man erst werden. (Thomas Köhler)

16. Mein Wegweiser ist die Natur. (Thomas Köhler)

17. Erwartungen verdrängen Überraschungen. (Thomas Köhler)

18. Ein neuer Tag kann nur schöner werden, wenn man die Vergangenen vergisst. (Thomas Köhler)

19. Ich fühle mich wie ein Schwamm, ich saug mich voll Japan. (Thomas Köhler)

20. Wir atmen alle dieselbe Luft ein. (Thomas Köhler)

21. Nach einem Taifun ist die Luft wieder rein. (Thomas Köhler)

22. Wo immer ich auch bin, wenn ich Grüntee trinke bin ich in Japan. (Thomas Köhler)

23. Manchmal packe ich meine Gedanken in eine PET-Flasche und werfe diese in den Recyclingeimer. (Thomas Köhler)

24. In einem japanischen Spiegel sehe ich mich anders. (Thomas Köhler)

25. Wenn der Berg zu hoch ist, gehe ich um ihn herum. (Thomas Köhler)

26. Wenn mich eine Mücke sticht, hat sie nichts böses getan. (Thomas Köhler)

27. Wenn ich eine Kakifrucht wäre, würde ich mich selber essen. (Thomas Köhler)

28. Als Bär bin ich aufgewacht und als Mücke eingeschlafen. (Thomas Köhler)

29. Eine Perle findet man nur, wenn man nach ihr sucht. (Thomas Köhler)

30. Ein grosser Stein bringt man nur gemeinsam ins Rollen. (Thomas Köhler)

31. Langeweile entsteht dann, wenn man sich wertlos vorkommt. (Thomas Köhler)

31. Puppen besitzen keine Ehre, ehrenlose Menschen sind lebende Puppen. (Thomas Köhler)

32. Bevor man ein Tier im Käfig einsperrt, sollte man sich besser ein paar Wochen selber einsperren. (Thomas Köhler)

33. Einsam wird, wer zu viel ans Geld denkt. (Thomas Köhler)

34. Mit einem Lachen beginnt vieles besser. (Thomas Köhler)

35. Mit Klagen kann man nichts verändern. (Thomas Köhler)

36. Gewohnheiten sind wie Schimmelpilze, die man kaum mehr los bringt. (Thomas Köhler)

37. Ohne Wüste keine Oase. (Thomas Köhler)

38. Sobald man nach dem Preis fragt, geht der Wert verloren. (Thomas Köhler)

39. In Japan fühle ich mich wie ein Kind in der Wiege. (Thomas Köhler)

40. Nicht wir bestimmen das Leben, das Leben bestimmt uns. (Thomas Köhler)

45. Schönheit ist nichts mehr als ein Schleier. (Thomas Köhler)

46. Die schönsten Geschichten sind die, die man selbst erlebt hat. (Thomas Köhler)

47. Wer nicht gehen will, bleibt stehen! (Thomas Köhler)

48. Beim Vorwärtsgehen schaue ich nie zurück! (Thomas Köhler)

49. Auch ein Umweg führt ans Ziel. (Thomas Köhler)

50. Die besten Früchte pflückt man im eigenen Garten. (Thomas Köhler)

51. Auch unter dem Schnee bleibt die Tanne grün. (Thomas Köhler)

52. Der Weg zum Ziel gleicht einer brennenden Kerze. (Thomas Köhler)

53. Geld und Reichtum verliert seinen Wert, wenn man krank wird. (Thomas Köhler)

54. Die Blumen besitzen ihre Schönheit nicht um uns Menschen zu gefallen. (Thomas Köhler)

55. Wer reich werden will, denkt nicht weiter als an sich selbst. (Thomas Köhler)

56. Während es an der Oberfläche laut zu und her geht, verdichten sich die Gedanken in der Tiefe. (Thomas Köhler)

57. Wer Esswaren wegwirft, sollte besser zuerst das Geld wegwerfen, denn Geld kann man nicht essen. (Thomas Köhler)

58. Wenn man selber kein guter Tänzer ist, sollte man andere besser nicht für sich tanzen lassen. (Thomas Köhler)

59. Das Ende ist der Anfang einer neuen Geschichte. (Thomas Köhler)

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